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Ausbildung zur Pflegekraft: Seit fünf Jahren im Pflegekompetenzzentrum

Syke – Weit aufgerissen haben diese Patienten ihren Mund, ihre Körperteile können je nach Bedarf ausgewechselt werden: Plastikpuppen mit exakt nachempfundener menschlicher Anatomie spielen im Pflegekompetenzzentrum in Syke eine unverzichtbare Rolle. An ihnen lernen Pflegekräfte in ihrer Ausbildung, wie Behandlungsschritte exakt ausgeführt werden müssen. Seit fünf Jahren besteht das Pflegekompetenzzentrum.

Heftige politische Diskussionen waren der Kreistagsentscheidung vorausgegangen, das Pflegekompetenzzentrum in der ehemaligen Hacheschule in Syke zu gründen – mit zwei Schulen unter einem Dach: Die BBS-Europaschule hat dort ihren pflegerischen Ausbildungsbereich installiert, den Susan Moldenhauer als Fachbereichsleiterin führt, und der Klinikverbund Diepholz seine Krankenpflegeschule. Deren Leitung hat Aenne Christensen. „Wir arbeiten konzeptionell zusammen“, betonen BBS-Direktor Horst Burghardt sowie Aenne Christensen und Susan Moldenhauer unisono.

Gemeinsam haben sie vor drei Jahren die neue, generalistische Pflegeausbildung in die Praxis umgesetzt. Will heißen: Alle Auszubildenden beginnen mit der zweijährigen Grundausbildung in der Pflege, können sich dann entscheiden, ob sie im dritten Jahr den Abschluss als Altenpflegekraft oder Gesundheits- und Kinderkrankenpflegekraft anstreben. Der erste Jahrgang nach dieser neuen Ausbildungsverordnung stellt sich in diesem Jahr der Prüfung.
Bis dahin haben sie alle Bereiche der Pflege kennengelernt – im Rotationsverfahren und nach einem für die gesamte Ausbildungszeit festgelegten Plan. Auf diese Weise lernen sie den Alltag in einer Klinik, in einem Pflege-heim sowie die Pflege in der Psychiatrie und der Pädiatrie, also der Kinder-krankenpflege, kennen. Weil es für letztere im Landkreis nicht genug Plätze gibt, gibt es für diesen Ausbildungsteil zwei Optionen: zum einen die Außen-stelle der Osnabrücker Kinderklinik am Schölerberg in Twistringen und zum anderen Kindertagesstätten.

Die Pflichtstunden in allen geforderten Bereichen passgenau für alle Auszubildenden zu planen, ist eine enorme Herausforderung. Deshalb haben sich mehr als 40 Ausbildungsträger in einem Verbund zusammengeschlossen,dessen Koordinierungsstelle im Pflegekompetenzzentrum sitzt und eine komplexe Aufgabe hat.

„Es hat sich um 180 Grad gedreht“, fügt Horst Burghardt mit Blick auf die neuen Ausbildungskriterien hinzu. Anders als Pflegeschüler früher suchen sich die Auszubildenden heute nicht mehr selbst eine praktische Ausbildungsstelle: „Die Betriebe suchen sich die Auszubildenden und müssen für die Schule sorgen.“ Ein Prinzip, wie es in der handwerklichen oder kaufmännischen Ausbildung seit Jahrzehnten selbstverständlich ist.

„Die Ausbildung ist anspruchsvoller geworden“, sagt Aenne Christensen. Viele Betriebe seien froh, wenn sie Nachwuchskräfte in der Kranken- oder Altenpflege gewinnen könnten. Mindestvoraussetzung für den Berufsweg Altenpflege ist der Hauptschulabschluss nach der zehnten Klasse, das Mindestalter 16 Jahre. Wer in der Kranken- oder Kinderkrankenpflege wirken möchte, braucht als Eintrittskarte den Realschulabschluss.

Die Umstellung auf die generalistische Ausbildung fiel ausgerechnet in die Zeit der Corona-Pandemie, die gerade im Pflegebereich mit erheblichen Einschränkungen verbunden war – eine enorme Herausforderung. Die Prüfungsvorgaben sind streng: „Wer eine Fehlzeit von mehr als zehn Prozent hat, wird nicht zugelassen“, so Susan Moldenhauer. Doch die Ausbildungsbedingungen im Pflegekompetenzzentrum seien gut: „Wir sind sehr gut ausgestattet und wir haben sehr gutes Personal.“ 21 Lehrkräfte aus den verschiedensten Pflegebereichen geben ihr Wissen und ihre Erfahrungen an Auszubildende weiter.

„Wir haben noch Plätze frei!“, melden die Verantwortlichen im Pflegekompetenzzentrum – neue Betriebe können sich also noch bewerben. Außer den beiden Schulen unter diesem Dach gibt es in Sulingen und in Weyhe zwei weitere Pflegeschulen.

Kriegsflüchtlinge aus aller Welt gehören mittlerweile zu den Auszubildenden,berichten Susan Moldenhauer und Aenne Christensen. Aber es sind auch junge Menschen aus Vietnam und Marokko darunter. Wie hoch ist der Anteil der Auszubildenden mit Migrationshintergrund? „Das ist von Jahr zu Jahr unterschiedlich“, antworten die Führungskräfte, „und kann bis zu 50 Prozent betragen“.

Die deutsche Sprache ist der Schlüssel zum Beruf: Auszubildende mit ausländischen Wurzeln müssen ein B 2-Zertifikat vorweisen. „Sie schaffen diesen Kurs während der Ausbildung nicht“, so die Erfahrung von Aenne Christensen. Deshalb sei es wünschenswert, diesen Kurs vorher zu absolvieren – zum Beispiel in einem Praktikum vor der Ausbildung.

Der Fachkräftemangel in der Pflege ist akut. Wie lassen sich neue Auszubildende gewinnen? „Das A und O ist, dass die Betriebe Werbung machen“, so die Führungskräfte im Pflegekompetenzzentrum. Und die Betriebe müssten unbedingt ein gutes Arbeitsklima schaffen: „Pflegekräfte sind gefragt, sie können wählen!“

Das Pflegekompetenzzentrum sei in dieser Form einmalig in Niedersachsen,betont Horst Burghardt. Sein Herzenswunsch ist es, „das Leuchtturmprojekt wirklich zum Leuchten zu bringen“. Dazu wollen BBS und Klinikverbund weiter an einem Strang ziehen. Ralph Ehring, Geschäftsführer im Klinikverbund, formuliert das so: „Der Ausbildungsverbund Ausbildungspartnerschaft Pflege Landkreis Diepholz wächst stetig an. Dies ist sehr positiv, dadurch wird es ermöglicht, die qualitative Ausbildung auszubauen und weiterhin zu gewährleisten. Somit wird die Ausbildung im Bereich der Pflege noch zukunftsfähiger und sorgt dafür, die Auszubildenden auf ihre spannende Berufswelt vor-zubereiten. Denn der Beruf der Pflegefachkräfte ist – wie wir gelernt haben –einer der elementarsten für die Gesellschaft und ist allein deswegen ein zukunftsträchtiger Beruf. In dem Beruf ist eine dauerhafte Entwicklungsmöglichkeit gegeben.“

 

Artikel erschienen in der Kreiszeitung, am Freitag, 02. Juni 2023, von Anke Seidel