Es hängt an den Hausärzten

Betagte Patienten könnten zukünftig bedarfsgerechter notversorgt werden

Landkreis Diepholz – Werden ältere Patienten aus Pflegeheimen in eine Notaufnahme eingeliefert, könnten sie dort unnötig zehn Tage verbringen und überflüssige Diagnosen über sich ergehen lassen. Dieses von Dr. med.Michael Groening dargestellte Szenario will der Mediziner mit einer neuen Versorgungsform vermeiden. Ein Pilotprojekt mit der AOK Rheinland/Hamburg, der Kassenärztlichen Vereinigung und dem Klinikverbund soll im Landkreis Diepholz bis 2027 erprobt werden.
Allgemeinmediziner und Hausärzte aus der Region waren zu diesem Anlass am Mittwoch ins Hotel Zur Börse nach Sulingen eingeladen – 15 erschienen. Sie lauschten den Ausführungen zum Projekt, das laut Klinikmanager Lukas Mählmann inoffiziell am 1. Januar 2024 starten soll. Ab April gehe es dann inden Praxisbetrieb und werde anschließend ausgewertet.

Worum geht es genau? Hausärzte sollen ihre betagten und bekannten Patienten aus eigener Initiative einer Spezialstation – einer stationären Allgemeinmedizin (Statamed) – überstellen.
Erfahrungsgemäß sei es laut Michael Groening nämlich so, dass viele Ältere keine akuten Notfallpatienten seien, wenn sie in eine Notaufnahme gebracht werden. Dann komme es vor, dass diese Patienten dort zwölf Stunden oder länger verweilen müssten, um ihr Leiden am Folgetag behandeln zu lassen. Die Kooperation mit den Hausärzten ermögliche laut Konzeptidee, dass die Versorgung maßgeschneidert auf die individuellen Beschwerden des Hausarzt-Patienten angelegt werde. Groening zufolge lasse sich so gezielt eine Qualitätssteigerung für den Betroffenen erreichen. Auch könnten sich die genannten zehn Krankenhaustage so teilweise auf drei reduzieren.
„Die Hausärzte sind die Impulsgeber, sie geben den Auftrag an Statamed“,warb Groening um Unterstützung.
„Wo ist mein Vorteil?“, wollte ein Hausarzt wissen. Das Ziel sei die wohnortnahe Versorgung der Patienten – auch in Zukunft, fasste Michael Groening zusammen: „Ist das kein Vorteil für Sie?“ Man müsse es ja nicht mitmachen, vermittelte eine Ärztin unter den Gästen.
Ein Teilnehmer äußerte die Sorge vor höherem Verwaltungsaufwand für Hausarztpraxen: „Ich bin 61, ich bin müde und ich habe die Schnauze voll von Add-On-Verträgen.“ (Zusatzverträge, die einen kleinen Teil der Hausarztarbeit regeln, Anm.d.Red.) Mählmann entschärfte, die Kliniken leisteten die Dokumentation. „Bei der Versorgung ist Verwaltung dabei. Wir als Klinikverbund im Landkreis wissen, dass wir draufzahlen, aber das ist okay“, so der Klinikmanager. Die Frage, wie es nach dem Bau der Zentralklinik in Twistringen-Borwede und nach der Schließung des Sulinger Krankenhauses vor Ort weitergeht, beschäftige viele Akteure vom Landrat bis zur Klinikleitung. Statamed könne dabei laut Mählmann eine Möglichkeit für eine zukünftige Nachnutzung in Sulingen darstellen, indem ein stationäres Zentrum für Allgemeinmedizin mit 10 bis 14 Betten entsteht. Die stationäre Anlaufstelle soll ausdrücklich keine spontane Notaufnahme abbilden.
Zum Leistungsumfang der Zentren sollen auch sogenannte Flying Nurses(Mobile Pflegekräfte) zählen, die mit Telemedizin im Gepäck Hausbesuche machen und Arztvisiten per Zuschaltung ermöglichen.
Oberfeldarzt der Reserve, Dr. Andreas Schlüsche, zugleich Hausarzt undAllgemeinmediziner in Rehden, ist von der Idee der „sektorübergreifendenKooperation“ (ambulant/stationär) überzeugt. Er finde es jedoch „etwas lustig“, wie er mit einem Schmunzeln sagt, dass dies als neu präsentiert werde. Das Verfahren sei seit Jahrzehnten „sehr effektiv“ bei der Bundeswehr etabliert.

Dieser Artikel ist am 17. November 2023 in der Kreiszeitung erschienen.